Türkei: Richter vertagt Anhörung zu angeblichem Betrug bei Parteitag der CHP
Ein Verfahren vor einem Gericht in Ankara, das zur Absetzung des Parteichefs der größten türkischen Oppositionspartei CHP führen könnte, ist bis September vertagt worden. Das erfuhr ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP am Montag.
In dem Verfahren könnten die Richter das Ergebnis der Vorstandswahlen bei dem im November 2023 abgehaltenen Parteitag der Linksnationalisten wegen angeblicher Bestechung für null und nichtig erklären. Bei der CHP-Versammlung war Özgür Özel zum Parteichef gewählt worden. Er wurde Nachfolger des langjährigen Amtsinhabers Kemal Kilicdaroglu.
Der Richter begründete die Vertagung des Verfahrens bis zum 8. September Medienberichten zufolge mit einer Überprüfung der Zuständigkeit "in der Strafsache".
Die Opposition bezeichnet den Prozess als politisch motiviert. Aus ihrer Sicht soll die CHP unter Druck gesetzt werden, nachdem sie nach der Festnahme ihres Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu im Frühjahr eine Protestwelle gegen die Regierung des islamisch-konservativen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan angestoßen hatte. Zudem legt die CHP derzeit in Umfragen zu.
Der Staatsanwalt von Ankara hatte im Februar Ermittlungen wegen angeblichen Stimmenkaufs bei dem Parteitag eingeleitet. Die CHP weist die Vorwürfe zurück. Medienberichten zufolge droht mehreren CHP-Vertretern, darunter Imamoglu, eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren und ein Politikverbot wegen Betrugs.
Sollte die Wahl von Parteichef Özel für nichtig erklärt werden, erwarten Beobachter zudem eine Zerreißprobe für die CHP. In diesem Fall dürfte der Parteivorsitz wieder Özels Vorgänger Kilicdaroglu zufallen. Der 76-Jährige war Erdogan bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2023 deutlich unterlegen.
Wenige Monate nach Özels Amtsantritt war der CHP im März 2024 bei den Kommunalwahlen ein überwältigender Sieg gelungen. Die Partei sicherte sich nicht nur erneut die Kontrolle über Großstädte wie Istanbul und Ankara, sondern gewann sogar Provinzen, die zuvor als Hochburgen der islamisch-konservativen Partei Erdogans gegolten hatten.
Seit diesem Erfolg stehen die Partei und ihre Politiker zunehmend im Visier von Ermittlungen. Besonders hart ging die Justiz mit dem über die Parteigrenzen hinweg äußerst beliebtem Imamoglu um, der nun wegen angeblicher "Korruption" im Gefängnis sitzt. Zudem wird ihm "Beleidigung" von Staatsanwälten zur Last gelegt.
F.Tsakiris--AN-GR